Die Christuskirche

 

Die Christuskirche kann nach jedem Gottesdienst noch eine Weile besichtigt werden. Sie ist in der Regel dienstags und samstags von 9-12 Uhr geöffnet. Zu diesen Zeiten können Sie sich die Kirche ansehen und zur Ruhe kommen. Wenn Sie einen Rundgang machen wollen, kann Sie der folgende Text unseres langjährigen Karl Apel (gestorben in 2014)  in die Geschichte unserer Kirche mitnehmen, die im Dezember 1903 mit einem feierlichen Festgottesdienst eingeweiht wurde. 

 

Rundgang

Das Hauptportal steht in einem Rundbogen mit eingearbeitetem Rosenstrang; unter ihm läuft eine Zierleiste in Form eines Eierstabes. Über der Mitte und an den Seiten erscheinen drei Kinder- oder Engelköpfe. Die Rose wird als Symbol der Ewigkeit oder des Rätselhaften und Geheimnisvollen verstanden. In der Frühzeit des Christentums galt sie als ein Sinnbild des Paradieses oder auch des Martyriums der Kirche. Sie erinnert hier an das Lutherwappen mit dem Sinnspruch: „Des Christen Herz auf Rosen geht, wenns mitten unterm Kreuze steht.“ Die Kinderköpfe sind mit den Bibelstellen zu deuten: Lukas 20,36 „sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder“ und Hebräer 12,5 „der zu euch redet als zu den Kindern“. Beachtenswert sind die Eisenbeschläge am Hauptportal wie auch an den anderen Türen. Das Motiv der Rose taucht auch hier auf.

Im Vorraum der Kirche steht an der linken Seite eine Kopie der Christusfigur des dänischen Bildhauers Bertel Thorwaldsen (1768 oder 1770 bis 1844). Thorwaldsen (auch Thorvaldsen) gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer des Klassizismus. Den später auch andernorts mehrfach kopierten „Segnenden Christus“ schuf er 1827 für die Frauenkirche in Kopenhagen. Die Figur stellt Jesus dar, wie er die Segensworte spricht (Mt 11,28): „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Wie der Bildhauer selbst sagte, soll sie ausdrücken, „dass Christus die Menschen liebt und sie umarmt, so wie ich mir seinen Hauptcharakter gedacht habe“. Die Kasseler Kopie wurde 1903 von Arthur Trebst (1861 bis 1922) in Leipzig aus französischem Champagnerkalk gearbeitet und zur Einweihung von dem Wahlershäuser Arzt und Kurdirektor Moritz Wiederhold gestiftet. Die Figur stand bis 1953 im Inneren der Kirche, rechts am Triumphbogen.

Im Inneren zeigt der Grundriss der Kirche im Allgemeinen die Form einer dreischiffigen Basilika; über dem vorderen Joch der rechten Seite ist die Kaiserloge bis unter das Gewölbe des Hauptschiffes hochgezogen. Die Kreuzgewölbe werden von drei Gurtbögen gehalten. In den Schlusssteinen erkennen wir Eichenblätter, Akanthusblatt und Weinrebe. Unter den Kämpfern der Gurtbögen sind Symbole eingearbeitet, rechts Kreuz in lateinischer Form und Akanthusblatt, links Kelch und Blumen; im Altarraum links Weinreben, rechts Ähren. Soweit sie an Brot und Wein im Abendmahl erinnern sollen, sind sie jeweils auf der falschen Seite.

Auf der rechten Seite der Kirche befindet sich hinten die Gedenktafel für die Gefallenen der Gemeinde aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Ausführung erfolgte 1951 in Kratzputztechnik nach einem Entwurf des Kasseler Grafikers Professor Alfons Niemann (1886 bis 1968). In der Mitte steht eine Christusfigur als guter Hirte.

Bemerkenswert sind die Holzschnitzereien an den Wangen der Kirchenbänke: Rose, Lilie und wieder das Akanthusblatt. Auch die 15 hervorragenden Trägerbalken der Orgelempore sind vom Holzschnitzer mit vier Eulenköpfen, vier Frauenköpfen, vier Löwenköpfen und drei Teufelsköpfen gestaltet.

Die Kanzel ist in ihrer Gestalt unverändert von 1903. Ihre Bemalung dagegen erfolgte erst 1952 nach Entwürfen des Offenbacher Zeichners Rudolf Koch (1876 bis 1934). Sie zeigt das Kirchenjahr mit Symbolen an: der Stern für Advent und Weihnachten; die Schlange für Passion und Ostern; das Jerusalemkreuz für Pfingsten; drei ineinander gefasste Ringe für die Trinitatiszeit (Dreifaltigkeit). Am unteren Rand stehen die Worte: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“.

Der Triumphbogen wurde ebenfalls 1952 mit Symbolen von Rudolf Koch geschmückt: links Taube (Sinnbild des Heiligen Geistes) und Dornenkrone (Symbol für das Leid Jesu), in der Mitte Triumphkreuz; rechts Kelch mit Oblate und Anker (Abendmahl und Hoffnung). Zwischen den Symbolen läuft eine Ornamentlinie: „Ohne Anfang ohne Ende“ steht sie für die Ewigkeit.

Der Altar besteht als Abendmahlstisch aus einer frei auf zwei Wangen aufliegenden Sandsteinplatte. Kaiserin Auguste Viktoria stiftete zur Einweihung im Jahr 1903 eine kunstvoll gearbeitete Altarbibel mit der Widmung: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig“.

Der Taufstein, nach einem Entwurf des Kasseler Malers Johannes Reinhold (1898 bis 1983) gearbeitet, kam ebenfalls erst 1952 in die Kirche. Er enthält als einziges Symbol an allen vier Seiten einen Fisch, das Geheimzeichen der verfolgten Christen in Rom.

Das Kreuz im Altarraum wurde im Zuge der Renovierung 1952 aufgestellt – in Anerkennung der während des Dritten Reiches entstandenen bitteren Schuld und als Zeichen des Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist aus Spessarteiche und hat eine Höhe von 6,50 Metern.

Die Sakristei an der nördlichen Seite mit Eingang zum Altarraum dient gelegentlich auch als Raum für Taufen und Trauungen im kleinen Rahmen. Sie ist mit einem Holzaltar und einem Wandkreuz (1964) von Gotthold Schönwandt (1921 bis 1976) ausgestattet. An der gegenüberliegenden Wand hängen Fotos der bisherigen Pfarrer der Christuskirche.

Die Kaiserloge erreichte man früher durch eine besondere Tür von der Landgraf-Karl-Straße aus, heute auch durch einen Seitenausgang der Kirche. Über ihr ist heute noch die Kaiserkrone sichtbar; auch das Gitter des Treppenaufgangs ziert ein mächtiger, handgeschmiedeter Kaiser-Adler. Im großen Rundfenster ist als kleiner Rest des ursprünglich bunten Glases noch das preußische Wappen erhalten. Ebenso sind die beiden Stühle für das Kaiserpaar mit ihren Wappen geschmückt. Wilhelm II. nutzte das nahegelegene Schloss Wilhelmshöhe als Sommerresidenz, die Christuskirche hat er allerdings nie besucht.

Die Orgel wurde 1961 durch die Firma Werner Bosch, Sandershausen bei Kassel, als dreimanualiges Werk mit 31 Registern gebaut. Die im Prospekt der Orgel sichtbaren Pfeifen sind nur ein kleiner Teil des eigentlichen Werkes. Die meisten Pfeifen stehen hinter dem Prospekt. Jedes Register ist einzeln spielbar und mit jedem anderen zu kombinieren, woraus sich immer neue Klangfarben ergeben. Die Zahl der Registerkombinationen geht in die Million, weshalb man auch nach jahrelangem Hören des Instrumentes kaum sagen kann, man kenne es ganz und gar. In der Orgel sind etwa zwanzig verschiedene Hölzer verarbeitet. Die Holzflöten sind aus deutscher Eiche und afrikanischem Mahagoni.

Der schlanke Turm ragt seitlich aus der westlichen Giebelwand empor. Heinrich Bertelmann hat ihn in seinem Buch „Hessische Höhenluft“ erwähnt. Von ihm hat man eine herrliche Aussicht auf das Kasseler Becken und die Höhen der Söhre, des Kaufunger- und des Reinhardswaldes. Der Turm hat eine Gesamthöhe von 53,75 Metern. Seine Spitze musste 1966 völlig erneuert werden. Ein Spezialkran brachte das vorgefertigte, drei Tonnen schwere Holzwerk auf den Turmstumpf.

Unter der Türmerstube sind drei Stahlgussglocken untergebracht, im August 1903 in Bochum gegossen. Sie haben Namen aus l. Korinther 13, 13: Glaube, Liebe, Hoffnung. Es ist ihre Aufgabe, mit ihrem Geläut den Gottesdienst einzuleiten, das Gebet zu begleiten und als kultisches Ausdrucksmittel die Menschen zur inneren Einkehr zu rufen. Die größte Glocke wiegt 1700 Kilogramm; sie hat den Ton D und als Zeichen für den Glauben ein Kreuz. Die mittlere Glocke mit einem Gewicht von 1400 Kilogramm hat den Ton Fis und als Zeichen für die Liebe ein brennendes Herz. Die kleine Glocke schließlich hat einen Anker als Zeichen für die Hoffnung; sie wiegt 800 Kilogramm und hat den Ton A. Morgens, mittags und abends läutet die mittlere Glocke (Liebe) zum Gebet. Bei Trauungen und beim Vaterunser sowie bei der Einsegnung der Konfirmanden erklingt die kleine Glocke (Hoffnung). Die große Glocke (Glaube) wird allein zur Beerdigung auf dem alten Wahlershäuser Friedhof geläutet. Das Einläuten des Neuen Jahres, des Sonntags am Samstagabend und der Gottesdienste erfolgt durch das volle Geläut. Ursprünglich wurden die Glocken mit der Hand geläutet; 1910 erhielten sie einen elektrischen Antrieb.

Die frühere, aus dem Jahr 1903 stammende mechanische Turmuhr des Uhrmachermeisters Friedrich Weule (1854 bis 1952, Bockenem/Harz) wurde 1968 durch eine neue elektrische Uhr ersetzt. Ihr Schlagwerk ist von 7 bis 21 Uhr jeweils zur Viertel- und vollen Stunde in Betrieb. Das Tageszeitengeläut wird von ihr automatisch ausgelöst.

Außen erinnert auf der Nordseite der Kirche die 1917 gepflanzte Luthereiche an die damals 400jährige Wiederkehr der Reformation. Der östlich benachbarte Gemeindepavillon des Kasseler Architekten Professor Berthold Penkhues (*1955) wurde am 2. Dezember 2001 eingeweiht. Er ist außen mit Muschelkalkstein verblendet. Sein 120 Quadratmeter großer Saal öffnet sich mit einer hohen Fensterfront zur Kirche und zur Eiche hin.

Die Christuskirche nach 1945

 

Das Jahr 1945 bildete eine starke Zäsur, dessen Wirkung kaum überschätzt werden kann. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches musste es zu einem Neuanfang kommen in politischer, aber auch in kirchlicher Hinsicht. Die evangelischen Landeskirchen schlossen sich in diesem Jahr in Treysa zur EKD zusammen. Für die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck zeigte sich der Neubeginn vor allem darin, dass die Verfassung von 1924 ergänzt wurde um ein neues Leitungsgesetz, das die Leitung nun (von dem unrechtmäßigen und gescheiterten Versuch im Jahre 1934 abgesehen) erstmals einem Bischof übertrug. Mit dem Träger des Bischofsamtes fühlte sich die Kirchengemeinde Wilhelmshöhe spätestens seit 1963 eng verbunden, als der frühere Wilhelmshöher Pfarrer Erich Vellmer von der Landessynode zum Nachfolger des ersten Bischofs Adolf Wüstemann gewählt wurde. Da die Amtswohnung des Bischofs im Gemeindebezirk Mulang liegt, wohnen seit einigen Jahrzehnten die Bischöfe auch in Wilhelmshöhe, was zur Verbundenheit beiträgt.

Für die Christuskirche ist der Neubeginn nach 1945 mit der Renovierung verbunden, die im Jahre 1952 fertiggestellt wurde. Wegen fehlender Geldmittel musste allerdings mehrere Jahre gewartet werden, bis endlich mit der Neugestaltung des Innenraums begonnen werden konnte. Im Vergleich mit der ursprünglich reich verzierten Kirche ist der renovierte Innenraum nun sehr nüchtern gehalten. Die Wände wurden in schlichtem Weiß getüncht und als einschneidendste bauliche Maßnahme der Altarraum verändert: Der Konfirmandensaal, der bisher einen Teil des Chorraums ausgefüllt hatte, wurde entfernt, und die Orgel, die sich bisher darüber befunden hatte, wurde auf die Empore über dem Haupteingang platziert. Die Fenster an der Ostseite wurden zugemauert und an ihrer Stelle eine Rosette in die Nordseite des Chores eingefügt. Nun besaß die Christuskirche erstmals einen geräumigen Chor, in dem Platz war für den Altar und ein großes, schlichtes Holzkreuz. Die große Figur des segnenden Christus, die bisher auf der rechten Seite des Triumphbogens gestanden hatte, wurde entfernt und in einer Nische neben dem Haupteingang aufgestellt. Insgesamt machte der neue Innenraum deutlich, dass die Wilhelmshöher Gemeinde radikal mit dem Alten brechen und nach dem Dritten Reich einen Neubeginn wagen wollte. Fast so radikal wie während der Zeit des Bildersturms wurde die farbige Innenraumgestaltung übertüncht und die Christusfigur aus dem Kirchenschiff verbannt. Die Gemeinde sollte unabgelenkt das Wort Gottes hören und sich im Andenken an die vergangene Schuld unter das Kreuz stellen können.

Anders als die zentral gelegenen Stadtteile Kassels war Wilhelmshöhe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur geringfügig zerstört. Viele Häuser waren noch intakt und boten sich schon allein aufgrund ihrer Größe an, als Quartiere für die amerikanische Besatzungsmacht zu dienen. In den ersten Jahren nach 1945 wohnten so zahlreiche amerikanische Offiziere in Wilhelmshöhe. Die Gemeindearbeit in Wilhelmshöhe wurde dadurch belebt, bot die Christuskirche doch Raum für englischsprachige Gottesdienste.

Die Bevölkerung war in Wilhelmshöhe stark angewachsen, was wohl vor allem daran lag, dass ausgebombte Familien hier schon während der letzten Kriegsjahre aufgenommen werden mussten. Der Anstieg war so gravierend, dass eine dritte Pfarrstelle für den Mulang seit 1945 eingerichtet wurde.

Aus der Sicht der Christuskirche sind die Anschaffung der neuen Orgel des Orgelbaumeisters Bosch, die zweite Renovierung, die im Jahre 1981 vollendet wurde, sowie der  2001 vollendete Bau des Pavillons die gravierendsten Ereignisse seit den 1950er-Jahren. Die neue Orgel weist auf die hohe Bedeutung der Kirchenmusik in der Wilhelmshöher Gemeinde hin, während der Pavillon ein Zeichen ist für ihre Lebendigkeit. Er wird von zahlreichen Gemeindegruppen genutzt.

Bei der Renovierung der Christuskirche wurde die Schlichtheit der früheren Innenraumgestaltung zum Teil rückgängig gemacht durch eine historisierende Bemalung und durch eine warme Farbgebung vor allem der Bänke. Nun durften auch wieder Symbole Einzug in die Kirche halten, die nach Zeichnungen des Offenbacher Künstlers Rudolf Koch seither den Triumphbogen und die Kanzel schmücken. Seit der letzten Renovierung wirkt der Raum der Christuskirche freundlicher und einladender als nach 1952. Außerdem wurde im Jahre 1981 der Chorraum erweitert und das erhöhte Podest in das Kirchenschiff verlängert. Dadurch konnte der Altar weiter nach vorne auf die Höhe des Taufsteins gezogen werden. Dadurch wurde die Akustik verbessert und es entstand hinter dem Altar ein Raum, der sich für Andachten, aber auch Kleinkindergottesdienste gut eignet.

Ein Jahr nach der Renovierung wurde ein Wandteppich im Chorraum an der Ostseite hinter dem Kreuz angebracht. Offensichtlich hat die Gemeinde sich in dem nach der ersten Renovierung von 1952 sehr schlichten Innenraum so sehr nach Bildern gesehnt, dass sie nun zusätzlich zur freundlicheren Farbgebung und zu den Symbolen auf Kanzel und Triumphbogen noch eine bildhafte Darstellung wünschte. Im Jahr 2001 wurde der Wandteppich durchaus unter Protest einiger Gemeindeglieder entfernt. Seither mehrten sich die Stimmen, die für eine Neugestaltung des Altarraums warben. 

2003 beschloss der Kirchenvorstand deshalb die Neugestaltung des Altarraums nach einem Entwurf der Berliner Künstlerin Dagmar Weissinger. Es entstand ein neu gestaltetes Lesepult (Ambo), Altar und Taufstein wurden mit Plexiglaselementen ergänzt. Altar und Kanzel erhielten neu gestaltete Antependien (Paramente), passend zur liturgischen Farbe des Sonntags im Kirchenjahr.

Prägend im neu gestalteten Altarraum sind auch die Kunstwerke „Dekalogos“ und „Kreuz“ aus portugiesischem Schiefer. Zehn Schiefertafeln im hinteren Altarraum enthalten die Zehn Gebote, in einen Strich- und Punktecode übersetzt. Durch die Öffnungen scheint blaues Licht. Oben steht auf jeder Tafel: „Ich bin der Herr, dein Gott.“ Im Altarraum links befindet sich eine Doppeltafel: Auf der ersten Doppeltafel steht das griechische Wort für die Zehn Gebote, rechts daneben ihr gesamter Text. An der Wand gegenüber hängt die Skulptur „Kreuz“: Übereinander gelegt ergäben die beiden Tafeln ein Kreuz.

2014 sorgte eine Konfirmandengruppe von Pfarrer Martin Becker (+) für eine Neugestaltung der Fensternischen auf der Außenseite der Ostwand. Sechs farbige Bildtafeln veranschaulichen die „Ich bin“ Worte Jesu aus dem Johannesevangelium.

Forschungsarbeiten von Bettina Schüpke im Linnemann-Archiv in Frankfurt am Main führten 2014 zu Bildvorlagen der bunten Glasfenster auf der Nordseite, die 1942 bei der Explosion einer Fliegerbombe zerstört worden waren. Fotografien der Kirchenfenster aus der Vorkriegszeit hatten nicht existiert. Abbildungen der Bildvorlagen sind nun in der Veröffentlichung „Die Christuskirche in Kassel-Bad Wilhelmshöhe. Alte Bild- und Textdokumente. Neue Fotos und Informationen. Bearbeitet und erstellt von Gerhard Jost, Kassel 2015“ dokumentiert.

2021 wurde die alte Dampfheizung durch vier energiesparende Wärmestationen im Kirchenschiff ersetzt. Vor und hinter dem Sitzbereich der Gottesdienstbesucher sorgen die Wärmestationen nun für angenehme Temperaturen in der Christuskirche.

 

 

Die Christuskirche während des Dritten Reiches

 

Die Jahre zwischen 1933 und 1945 waren für die Gemeinde der Christuskirche eine schwierige Zeit. Vor allem stellte sich die Frage, wie man sich den neuen politischen Verhältnissen gegenüber verhalten sollte und wieweit man ihnen Macht in der Gemeinde und in der Kirche zugestehen wollte. Dies galt umso mehr, als Wilhelmshöhe durch die politischen Weichenstellungen zu Beginn des Dritten Reiches ungeheuer profitierte. Der Rückgang an Arbeitslosigkeit und der – vor allem durch Verschuldung und beginnende Aufrüstung ermöglichte – wirtschaftliche Aufschwung kam dem Stadtteil im Kasseler Westen zugute, der durch das Neubaugebiet Flüsseviertel beträchtlich wuchs. Mancher Unternehmer, der durch die ungeheure militärische Aufrüstung des nationalsozialistischen Systems profitierte, verlegte seinen Wohnsitz in die schicke Wohngegend Mulang.

Die Frage, wie sich die evangelische Christenheit in Deutschland zum nationalsozialistischen Staat verhalten sollte, bildete den Kern des Konfliktes zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche. War es für die Deutschen Christen selbstverständlich, dass sich der Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus auch auf die Kirche erstrecken musste, so hielt die Bekennende Kirche grundsätzlich an der seit 1918 errungenen Selbständigkeit gegenüber dem Staat fest.

Innerhalb der evangelischen Landeskirchen hatte es schon vor der Machtergreifung Adolf Hitlers Überlegungen gegeben, wie der lose Kirchenbund zu einer einheitlichen Reichskirche umgewandelt werden könnte. Als im Frühjahr 1933 über eine Verfassung abgestimmt werden sollte, zeigte sich schnell, dass Hitler die Entwicklung zu einer evangelischen Reichskirche in seinem Sinne nutzen wollte. Bei Kirchenwahlen gelang es den Deutschen Christen durch seine direkte Einflussnahme, in sämtlichen Gremien der im Sommer 1933 gegründeten Reichskirche eine überwältigende Mehrheit zu erhalten. Auch in der Landeskirche von Hessen-Kassel war man der Meinung, dass die kirchliche Struktur aus dem Jahre 1924 nicht mehr zeitgemäß war. Das kirchenleitenden Dreiergremium trat deshalb zurück, um einer neuen Kirchenleitung nicht im Wege zu sein. Für die Zwischenzeit wurde eine Vorläufige Kirchenleitung einberufen, deren Vorsitz Theodor Dithmar übernahm, der zwischen 1915 und 1932 Pfarrer in Wilhelmshöhe gewesen war. Als sich der Kirchenkampf auch auf die inzwischen um Waldeck erweiterte Landeskirche ausbreitete, war Dithmar in den Konflikt mit der Kommissarischen Kirchenleitung direkt verwickelt, dessen dramatischen Höhepunkt die gewaltsame Besetzung der Räume des Landeskirchenamtes durch die deutschchristlich orientierte Kommissarische Kirchenleitung bildete.

Die Wilhelmshöher Kirchengemeinde wird in diesem schwersten innerkirchlichen Konflikt, den die Landeskirche während des Dritten Reiches zu bestehen hatte, hin- und hergerissen gewesen sein. Stand doch auf beiden Seiten an prominenter Stelle ein früherer Wilhelmshöher Pfarrer: Theodor Dithmar als Vorsitzender der Einstweiligen Kirchenleitung und Karl Theys, der seine Hilfspfarrzeit in Wilhelmshöhe absolviert hatte und 1934 gegen geltendes Recht und gegen den Widerstand der Bekennenden Kirche zum Landesbischof gewählt worden war. Er war damit Mitglied der Kommissarischen Kirchenleitung. Als Theys wegen des Widerstandes eines überwältigenden Teils der kurhessisch-waldeckischen Pfarrerschaft nach wenigen Wochen sein Amt als Landesbischof niederlegte, ergab sich sicherlich auch in Wilhelmshöhe eine Beruhigung zwischen den Angehörigen der verschiedenen kirchenpolitischen Lager.

Die Pfarrer, die in den Jahren zwischen 1933 und 1945 in Wilhelmshöhe im Amt waren, sind weder auf der Seite der Bekennenden Kirche noch auf der Seite der Deutschen Christen in besonderer Weise aufgefallen. Allerdings hat Hermann von Kaltenborn-Stachau, bis 1943 Inhaber der ersten Pfarrstelle, sich zur Bekennenden Kirche gehalten und immer wieder die Mitglieder der Bekennenden Kirche zu geschlossenen Gemeindeversammlungen in das Gemeindehaus in der Rammelsbergstraße eingeladen. Bei seinen Gottesdiensten konnte die sich in der Christuskirche versammelnde Gemeinde miterleben, wie einer ihrer Pfarrer bespitzelt wurde. So war auch in der Wilhelmshöher Kirchengemeinde die Auseinandersetzung zwischen der Bekennenden Kirche und dem nationalsozialistischen Staat hautnah mitzuerleben.

Den Zweiten Weltkrieg hat die Christuskirche überlebt, ohne dass sie großen Schaden nahm. Allerdings mussten kleinere Schäden hingenommen werden, wie die Zerstörung der bunten Glasfenster auf der Nordseite, die durch den Druck eines nahegelegenen Bombeneinschlag zu Bruch gingen. Ein Jahr später wurde die Kirche von zwei Brandbomben getroffen, die aber im Gewölbe verglühten, ohne nennenswerten Schaden anzurichten.

Einschneidender wurde das Gemeindeleben gestört, als die Christuskirche in den Jahren 1943 und 1944 beschlagnahmt wurde, damit in ihr Möbel von ausgebombten Bürgern gelagert werden konnten. Die Gottesdienste mussten derweil im Gemeindehaus gefeiert werden.

Die Christuskirche in der Weimarer Republik

 

Der Erste Weltkrieg bildet eine einschneidende Zäsur für die Geschichte der Christuskirche, wie auch für die der Landeskirche und des deutschen Protestantismus überhaupt. Die Revolution führte zum Ende der Monarchie, was besonders in Wilhelmshöhe als ein ungeheurer Verlust empfunden worden sein wird. Fühlte man sich doch mit dem Kaiserhaus besonders verbunden, dessen Sommerresidenz innerhalb der Gemeindegrenzen lag. Außerdem war Wilhelm II. in Kassel zur Schule gegangen. Ein bisschen des kaiserlichen Glanzes war entsprechend auch auf Kassel und besonders auf Wilhelmshöhe gefallen. Und dieser Glanz fehlte, als die Weimarer Republik gebildet wurde. Die hohen Reparationszahlungen, die der Versailler Vertrag mit sich brachte, wird auch die Wirtschaftskraft der Wilhelmshöher Bürger empfindlich getroffen haben. Die großzügigen Bauten im Mulang entstammen fast durchweg der Wilhelminischen Zeit. In den 20er Jahren fehlte dagegen offensichtlich die Finanzkraft, um im früheren Rahmen Villen zu bauen.

Aber auch für die Landeskirche von Hessen-Kassel brachte die Revolution einen Einschnitt. Von nun an wurde sie nicht mehr durch den preußischen König und deutschen Kaiser sowie von ihm eingesetzte Beamte geleitet, sondern war frei und musste sich selbst eine Leitung geben. Doch diese Freiheit von der bisherigen staatlichen Bevormundung wurde zunächst eher als Last empfunden, musste man doch nun selbst eine Verfassung erarbeiten und kirchliche Strukturen schaffen, die den neuen politischen Gegebenheiten Rechnung trugen.

Bevor aber die neue Verfassung erarbeitet und 1924 in Kraft treten konnte, legte man die Geschicke der Landeskirche in die Hände von Männern, die schon vor der Revolution im Auftrag des preußischen Königs die Kirche in Nordhessen geleitet hatten. Die neugewonnene Freiheit der Kirche wurde offensichtlich ambivalent begriffen. Auf der einen Seite sehnte man sich nach einer Kontinuität mit den Verhältnissen der Kaiserzeit. Auf der anderen Seite begriff man mehr und mehr die Unabhängigkeit vom Staat auch als Chance. So schuf man auf mehreren Ebenen ein durch Wahlen legitimiertes synodales System. Das höchste synodale Gremium, der Landeskirchentag, wurde von einem Wilhelmshöher Pfarrer, Theodor Dithmar, geleitet. An anderer Stelle blieb die Verfassung konservativ, indem sie die konfessionell unterschiedlichen Kirchengemeinschaften bestehen ließ. So blieb es dabei, dass es in Kurhessen einen reformierten Sprengel im Norden, einen lutherischen in und um Marburg herum sowie einen unierten im Süden gab. Zur Leitung dieser Sprengel wurden die früheren Generalsuperintendenten aus der Wilhelminischen Zeit berufen. Dieses Dreiergremium der Landespfarrer wurde nur nach außen hin durch den primus inter pares, Landesoberpfarrer Heinrich Möller, vertreten. So war die Landeskirche einerseits ein loser Bund dreier konfessionell unterschiedlicher Kirchengemeinschaften, andererseits hatte sie einen leitenden Geistlichen, eine gemeinsame Verwaltung sowie eine gemeinsame Synode.

Die Christuskirche während der Kaiserzeit

 

Die Christuskirche ist ein Bauwerk der Kaiserzeit, wie man ihrem historisierenden Baustil deutlich anmerkt. Mit dem Rückgriff auf Stilelemente der Gotik, Romanik und der Renaissance sollte an die große Zeit des ersten Kaiserreiches angeknüpft werden, wie es das zweite deutsche Kaiserreich ja ebenfalls versuchte.

 

Mit dem Kaiserhaus war die Kirchengemeinde Wilhelmshöhe von Anfang an verbunden, gehörte doch die kaiserliche Sommerresidenz zum Gemeindebezirk. Noch heute erinnert die Kaiserloge mit ihrem (heute zugemauerten) separaten Eingang (über dem das kaiserliche Wappen angebracht ist) an diese Verbindung zum Kaiserhaus. Zur Einweihung der Kirche ließ Kaiserin Auguste Viktoria in ihrem Namen der Gemeinde eine kunstvoll gestaltete Altarbibel überreichen. Auguste Viktoria hat die Kirche später mehrfach besucht.

 

Die enge Verbindung zum Kaiserhaus hatte ihren Grund darin, dass Kurhessen seit 1866 Teil Preußens geworden war. Dadurch hatte der preußische König, der seit 1870 auch deutscher Kaiser war, auch das Schloss in Wilhelmshöhe in Besitz genommen. Kirchenpolitisch hatte die Annexion Kurhessens dazu geführt, dass die kurhessische Landeskirche ein Teil der preußischen Kirche wurde, die dem unierten Bekenntnis anhing. Um den erbitterten Widerstand der überzeugten Lutheraner um August und Wilhelm Villmar gegen den preußischen Staat nicht noch zu verstärken, wurde der kurhessischen Landeskirche aber die Eigenständigkeit belassen. Allerdings konnte die als hessische Renitenz bekannte Bewegung um Wilhelm Villmar nicht verhindern, dass es eine gemeinsame Kirchenleitung für die konfessionell unterschiedlichen Sprengel Kassel, Marburg und Hanau gab. Oberhaupt der kurhessischen Landeskirche war der preußische König und deutsche Kaiser, der die Landeskirche von Hessen-Kassel durch von ihm bestellte Beamte leiten ließ. Heute erinnert an diese preußische Zeit die Form des Talars in der preußischen Form.

Die Periode, in der Nordhessen durch Preußen annektiert war, und in die der Bau der Christuskirche fiel, entpuppte sich bald als Blütezeit. Für die evangelische Kirche in Nordhessen sollte sie sich sogar als Glücksfall erweisen. Erstmals in ihrer Geschichte wurden Pfarrer einheitlich besoldet. Die Pfarrgehälter hingen nun nicht mehr von den Zufällen ab, was auf dem Land beispielsweise die Ländereien einbrachten, die zur Pfarrerbesoldung bestimmt waren. Auch für die Theologenausbildung in Kurhessen brachte die „preußische Vorherrschaft“ bedeutende Fortschritte. Nur durch die bedeutend bessere finanzielle Ausstattung konnte sich die Marburger Universität von einer eher provinziellen Ausbildungsstätte zu einer der bedeutendsten Hochschulen innerhalb Deutschlands entwickeln. Im Bereich der Theologie konnte sie sogar wieder einen Standard erreichen, den sie seit dem frühen 17. Jahrhundert nicht mehr innehatte. Besonders in den Fachgebieten AT und NT sowie Kirchen- und Dogmengeschichte zog die Theologische Fakultät während der preußischen Zeit Wissenschaftler von Rang nach Marburg.

 

Und schließlich erwies sich die preußische Kirchenpolitik auch für die Entwicklung der Landeskirche als Glücksfall. Dass sich die EKKW inzwischen zu einer Kirche der Mitte entwickeln konnte, in der die konfessionellen Unterschiede keine trennenden Schranken sind, lag auch darin, dass das vom preußischen König einberufene Gesamtkonsistorium eine einheitliche Gottesdienstordnung herausgab, die sowohl für den lutherischen Marburger Raum als auch für das reformierte Niederhessen sowie das unierte Hanauer Gebiet galt. Wie auch schon in der späten Kaiserzeit dadurch die konfessionellen Unterschiede verwischten, kann man in Wilhelmshöhe am Bau der Christuskirche ablesen. Vor allem die damalige Innenraumgestaltung zeigte, dass man sich nicht mehr allein der reformierten Tradition verpflichtet fühlte, die in der Muttergemeinde Kirchditmold gepflegt wurde. Im Gegensatz zu der nüchtern gehaltenen Mutterkirche war die Christuskirche im Innenraum reichlich verziert und sprengte damit bereits die konfessionellen Gegensätze zwischen Reformierten und Lutheranern. Dies zeigt sich auch an der Tatsache, dass 1917 zum 400. Reformationsjubiläum vor der Christuskirche eine Luthereiche gepflanzt werden konnte, die heute mit ihren ausladenden Zweigen die Nordansicht der Christuskirche mitbestimmt. Die Wilhelmshöher Gemeinde verstand sich von Anfang an nicht allein einer Richtung innerhalb des Protestantismus verbunden, sondern war konfessionell offen. So fühlte sich die Wilhelmshöher Kirchengemeinde von Beginn an auch für die in Wahlershausen und am Mulang lebenden Lutheraner zuständig und wehrte sich gegen die Versuche der Lutherkirchengemeinde, diese abzuziehen.

 

Quellen:

Evangelische Kirchengemeinde Kassel-Bad Wilhelmshöhe (Hrsg.), Einhundert Jahre Christuskirche Kassel-Bad Wilhelmshöhe. Geschichte und Geschichten von Menschen und Gemeinde. Mit Beiträgen von Karl Apel, Martin Becker u. a., Kassel 2003.

Evangelische Kirchengemeinde Kassel-Bad Wilhelmshöhe (Hrsg.), Die Christuskirche in Kassel-Bad Wilhelmshöhe. Alte Bild- und Textdokumente. Neue Fotos und Informationen. Bearbeitet und erstellt von Gerhard Jost, Kassel 2015.

Bilder Christuskirche

Tageslosung und Lehrtext

Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
Psalm 84,3